Kann „Neue Gerechtigkeit” ein grundsatzprogrammtisches Ziel der CDU sein?

„ATHENER ERKLÄRUNG”
Tilman Kluge, Athen 03.3.2006

 

1 Sachlage

Der Bundesvorstand der CDU Deutschlands hat anlässlich seiner Klausursitzung am 6. und 7. Januar 2006 in Mainz zur Neuorientierung der CDU in einem zweifellos veränderten politischen Umfeld einen Beschluß unter dem Titel „Unser Ziel: Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit” (CDU 2006) gefaßt. Doch nicht nur der CDU Bundesvorstand, auch von Amtes wegen hiervon unabhängige Bundesminister bedienten sich (auch z.T. gewissermaßen vorgreiflich) des neuen Terminus‘ (SCHAVAN 2005).

Erklärtermaßen handelt es sich um den Einstieg in die Diskussion und Entwicklung eines zu erneuernden wenn nicht sogar, folgt man Zitaten einiger führender CDU/Politiker, neuen Grundsatzprogrammes.

Daß der CDU Bundesvorstand durch derart grundlegende, wenn nicht sogar grundlegend falsche Prinzipien dem Parteitag vorgreift, der im Grunde selbiges oder wohlmöglich anderes grundsätzlicherweise zu beschließen haben wird, ist allerdings eher als traditionelle Unart nicht nur der CDU einzuordnen, nicht aber als bewusste Brüskierung der Delegierten in spe. Denn selbstverständlich kann es nicht sein, daß der CDU-Bundesvorstand entscheidet, unter welchem inhaltsschweren Titel die CDU das neue Grundsatzprogramm angehen wollen soll. Dies spiegelt sich auch in der Unsitte des Bundesvorstandes wider, in personam des/der Bundesvorsitzenden solche Gedanken gegenüber der Presse unter „Die CDU will ” so zu „verkaufen” als sei alles (auch von den Delegierten) beschlossene Sache.

2 Worte und Begriffe

Aus den 70er Jahren stammt der Arbeitsansatz von Heiner Geißler, von nicht wenigen Zeitgenossen als zynisch beurteilt, daß eine Partei, die die Macht erobern will, die „Begriffe besetzen” muß. Er musste sich aufgrund dieser eigenen Aussage gefallen lassen, er habe den Begriff der „neuen sozialen Frage” erfunden, um von wirklichen sozialen Fragen abzulenken. Dieser Manipulation des öffentlichen Bewusstseins mittels Sprache, daß eben nicht die Wahrheit oder die nüchternen Tatsachen auszusprechen, sondern das Besetzen von Begriffen Macht verschafft, besinnt sich offenbar die CDU nun wieder. Denn wäre das Gesagte das Gemeinte, ginge das zu Lasten des „C” und, weil das Volk noch weniger wüsste, wohin Hände und Füße setzen, von Freiheit.

Es ist zudem nicht ganz abwegig, analog der beschriebenen Attacken auf Heiner Geißler nun den Bundesvorstand zu fragen, ob er mit einem erneuerten oder neuen Grundsatzprogramm (also nicht etwa nur der Fortschreibung des alten, das derartiges auch aus anderen Gründen nötig hat) von der Frage nach der Grundsatztreue der CDU abzulenken gedenkt.

Hierzu sei angemerkt, daß das aktuelle Grundsatzprogramm der CDU (CDU 1994) zwar stilistisch nicht leserlich ist, aber inhaltlich die für eine zeitengestaltende Politik erforderlichen Freiheitsgrade in ausreichender Weite offenhält.

3 These

An christdemokratischen Maßstäben gemessen, ist die Zielsetzung einer „neuen Gerechtigkeit” zumal mit dem Mittel eines neuen Grundsatzprogrammes (s.o.) nicht mit dem „C” vereinbar. Hierbei ist vorauszusetzen, daß mit der Aussage aus dem Grundsatzprogramm 1994 𔄮Unser Gemeinwesen lebt von geistigen Grundlagen, die nicht selbstverständlich und für alle Zeiten gesichert sind.” [1] das „C” und damit nach dessen Maßstäben gestaltete Gerechtigeit nicht zur politischen Disposition gestellt werden dürfen sollten.

Das Schriftverständnis, daß Gottes ewige Gerechtigkeit ein reines Gnadengeschenk sei, das dem Mensch nur durch den Glauben an Jesus Christus gegeben wird (vgl. Röm 1, 17, Hab. 2, 4, in LUTHER 1545) und keinerlei Eigenleistung dieses Geschenk erzwingen kann, kann hier keine unmittelbare Anwendung finden.

Denn eine vollkommene Gerechtigkeit ist nur jenseits aller Grenzhaftigkeit zu ahnen und Gerechtigkeit nach Maßgabe des „C” ist daher zwar eine Gerechtigkeit, die sich aus der christlichen Glaubenslehre ergibt, wobei der Umstand menschlicher Unvollkommenheit einer Partei, die das „C” im Schilde führt, aufgibt, ihre Politik daran auszurichten, Gerechtigkeit im christlichen Sinne möglichst nahezukommen und dies mit demokratischen Instrumentarien menschlichen Miteinanders und Einsicht in die eigene Unvollkommenheit [4].

Es sei die Forderung erlaubt, im CDU Grundsatzprogramm daher eindeutig von Christdemokraten, nicht aber von „wir christlichen Demokraten” auszugehen. Es ist durchaus zulässig, anzunehmen, daß auch Nichtchristen nach Maßgabe christlicher Maßstäbe Gerechtigkeit erfahren können, wenn sie ihnen ggf. auch nicht nach dem Schriftverständnis als erkennbare Gnade Gottes widerfährt. Will die CDU den Begriff der „christlichen Demokraten” statt der „Christdemokraten” aufrechterhalten, wäre für sie seit Jahrhunderten als Grundsatzprogramm die „Freiheit eines Christenmenschen” (LUTHER 1520) bereitet. In Kenntnis dessen möge alleine schon politische Bescheidenheit dem Terminus „Christdemokraten” zur Geltung verhelfen.

Es kann also keine „Neue Gerechtigkeit” geben, sondern nur neue Ansätze, den demokratisch irdischen Weg zu Gerechtigkeit im Sinne des „C” besser zu bereiten. Für die CDU muß das heißen „We refuse to believe that there are insufficient funds in the great vaults of opportunity of this nation.” (LUTHER KING 1963; Übs. LEY, „Aber wir weigern uns zu glauben, daß die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist. Wir weigern uns zu glauben, daß es nicht genügend Gelder in den großen Stahlkammern der Gelegenheiten in diesem Land gibt.” ).

Ein Grundsatzprogramm muß hierfür Leitlinien beschreiben. Das aktuelle Grundsatzprogramm tut dies, wenn auch wenig anwenderfreundlich.

Ob hierfür Freiheit, innerparteilich z.B. von Heiner Geißler (NETZEITUNG 2006) bereits dahingehend attackiert, sie sei nicht nur das falsche Mittel allgemein, sondern führe auch in die falsche Richtung, der richtige Weg ist, ist an dieser Stelle nicht weiter zu erörtern, zumal Freiheit innerhalb des o.g. Rahmens erst bei Nennung der Freiheitsräume und -grade konkrete politisch beurteilungsfähige Konturen erfährt. Das „C” als Grundlage dieses Rahmens entzieht sich derlei Beurteilungen. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, zu der Matthias Platzeck, der SPD-Vorsitzende lt. GEHM (2006) sagt, die Idee der Sozialdemokratie müsse grundlegend erneuert werden, ist dies für das „C” auch nicht ansatzweise andenkbar, wenn es auch, schon der Unvollkommenheit der Anwender halber, nicht absolut in den Umsetzungsvorgaben und damit keine Ideologie, die eine Entropie von Null anzustreben drohen würde, ist.

Wer schließlich daraus, daß Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität (....) ´[1] keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen und daß es für die Zukunft unseres Landes notwendig ist, diese drei Grundwerte wieder zu einem harmonischen Dreiklang zusammenzufügen (CDU 2006) [2], den Rückschluß zieht, man müsse deshalb das Grundsatzprogramm erneuern, müßte auch der Verkehrssünder wegen die StVO erneuern, anstatt sich um ihre richtige Umsetzung im Mehrklang straßenverkehrlichen Miteinanders zu bemühen.

Und daß man z.B. mit der Bergpredigt - um ein „Essential” zu nennen - sehr praktische Politik machen kann, ist weitgehend unumstritten (KLUGE 2000).

4 Modern?

Moderne, im besten Sinne verstanden, ist eine Herausforderung an die Gegenwart, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln (POSCHARDT 2002). Auch eine „Modernisierung des Grundsatzprogrammes” , wie in der Mainzer Erklärung angeführt, droht aber nur zur „Reaktion auf durch schlechte Wahlergebnisse geprägtes Zeitgeschehen” auf einem zu hoch angesiedelten programmatischen Level statt christdemokratisch originärer Aktion und ethischem Bewußtsein zur Gestaltung des Moderne im besagt besten Sinne zu werden. Ohne Ethik bliebe die Moderne allemal ein „leerer Container”.

Dieser Begriff des slowenischen Philosophen Slavoj (2005) beschreibt ausgezeichnet, wie das Label „modern” inzwischen funktioniert, nämlich „wie ein leerer Container, in den jeder reinstecken darf, was er für modern hält, und aus dem andere herausholen können, was sie für modern halten” . Das „C” ist per se nicht modern, aber umsomehr ein unverwüstliches Instrument, durch seine Impulse Moderne im besten Sinne verstanden zu gestalten.

4.1 Das Gleichnis als Wagnis

CDU-Politik ist keine Bottle-Party!

Das Container-Theorem gar nicht abwegig, wenn nicht alter Wein in neuen Flaschen, sondern neuer Wein in alten Flaschen politisch transportiert würde. In Flaschen kann man nicht alles hineinpressen, denn dann bersten sie. Was schwächer ist, als die Flaschen und nicht in sie hineinpasst, nähme hingegen Schaden.

Flaschen sollen für den politischen Zweck transparent sein und einen erfaßbar maßvollen Eingang haben, damit Geschichte nachvollzogen werden kann, ohne aber zu verwehen. Niemand soll sagen können, er könne etwas aus den Flaschen herausholen, was diese Behälter nicht hergeben.

Es liegt in politischer Vertantwortlichkeit, wie weit man Inhalte als essentielle Inhalte der Flaschen bewahren will. Wie viel will, wieviel kann man den zeitgeistigen Einflüssen aussetzen. The shoot springs from the seed; the seed is not the shoot; both are not one and the same, but successive phases in a continuous growth. Such is the birth of animated life.”( SIDDHARTHA  480 v. Chr.). Wo und wann treten die  Sprosse aus den in schützenden Schalen verborgenen Saaten ins Freie und vertrauen sich der Verantwortung des Landwirtes an? Der Rückzug in den Garten Eden unter die schützende Erddecke ist verwehrt.

Jedenfalls darf man die schützende Schalen, hier die Flaschen  - und insoweit mit dem „C” zu vergleichbar -  nicht in Scherben legen. Würde man versuchen, Gerechtigkeit als im Sinne des C stabil eingebrannte Inhalte von den Flaschenwänden zu kratzen, nähmen die Flaschenwände Schaden als würde man versuchen, das Weizenkorn seiner Aleuronschicht zu berauben. Daher achte man darauf, daß diese Gerechtigkeit im „C” bewahrt bleibt.

 „Da soll man in Mainz gegeneinander Wahlkampf führen, während sich die Bundesparteien in Berlin in der sogenannten Kuschelkoalition räkeln. Also, sprachen die Protagonisten, Kurt Beck, der Titelverteidiger und Christoph Böhr, der Herausforderer, nutzen wir die Chance und beschränken uns auf landespolitische Themen.” (BECHER 2006). Die CDU ist aber im Ganzen eine Bundespartei und wird noch viele Kämpfe ohne Slalom um bundesweite Themen herum bestehen müssen.

Anstatt sich gegenüber der SPD zu profilieren gerät die CDU daher in der „Kuschelkoalition” in die Gefahr, in einer Art „Bottle-Party” zumindest im Zeitgeist zunächst einmal jede Mixtur für genießbar, weil schluckfähig, zu erklären und dem Zeitgeist auch die Vorausschau auf das böse Erwachen zu opfern. Daher muß die CDU darauf achten, daß es  - wenn schon -  wenigtens nicht ihre Flasche ist, die aus beschriebenen Gründen zum eigenen Schaden den Mix zu bewahren hätte, der viel Grundsätzliches zu ersäufen oder zumindest zu verwässern drohte.

Näherungen an Geschichte und Geschichten mit Flaschengeistern sind nicht unbedingt dem Zufall zuzuordnen. Unbestritten können sie, wenn auch bei unsachgemäser Anwendung nicht verschleissfrei, Impulse setzen. Deren Nutzung wäre jedoch gesonderten, weil programmanwendungszugewandten Diskussionen anheimzustellen.

5 Das richtige Instrument

5.1 Anwendungsfragen

Strategien und Inhalte verschiedenster Zeithorizonte gehören nicht zur Grundsatzprogrammatik (KLUGE 2001). Es liegt aber angesichts des Streubildes bisheriger politischer Programmgenese der CDU nahe, zu erwarten, daß auch hier wieder seitens des CDU Bundesvorstandes eine Verwechslung der Formulierung politischer Inhalte und Strategien mit der Formulierung eines Grundsatzprogrammes ansteht.

Ggf. hilft hier aber ein vom Bundesvorstand (s.o.) selber vorgegebenes Thema weiter.

In der Mainzer Erklärung (CDU 2006) ist von „neuem” Wohlstand und „neuer” Sicherheit die Rede, nicht von „mehr Wohlstand” und „mehr Sicherheit” . Letztgenannte Ziele erscheinen schlüssig, erstgenannte eher insoweit einen unharmonischen Übergang von alt zu neu zugrundlegend, als das Wort „neu” in der Mainzer Erklärung inflationäre Umfänge annimmt. Jedenfalls ginge es bei mehr Wohlstand und mehr Sicherheit um nichts, was das Grundsatzprogramm zum Objekt von innovativer Parteipolitik machen würde oder müßte, denn es ist diesen Zielen problemlos zugrundelegbar. Wir brauchen dafür also weder neue noch mehr Grundsätze.

5.2 Instrument einmal anders, der Ton macht die Musik

Ebenfalls in der „Mainzer Erklärung” (CDU 2006) zu finden ist folgende Passage: „Deutschland ist ein Land der Ideen. Um aber von unseren Ideen leben zu können, müssen wir sie auch in die Tat umsetzen. So ist Deutschland auch ein Land der Chancen. Deutschland ist für uns Heimat und Motivation.” Warum zieht die CDU, eine Qualifizierung der Chancen abseits bundesgeschäftsstellenmäßiger Lyrik vorausgesetzt, nicht die Konsequenzen in den eigenen Reihen?

Angela Merkel hat in einer Rede vom „Bremsklötze niederwalzen” gesprochen (MERKEL 2005), eine eingehende, originelle und in positiven Richtungen interpretable Formulierung. Wenn cdu-intern gute und originelle Ideen sogar der Bundesvorsitzenden nicht aufgegriffen und zur Vermittlung christdemokratischer Entbürokratisierungpolitik weitergeführt werden, bleibt die Forderung, Ideen umzusetzen und zum Ideenmachen zu motivieren, im allgemeinen Anwendungsbereich erst recht und konsequenterweise Theorie.

6 Alte Ungerechtigkeit?

Ansonsten käme die CDU nicht grundlos in den Verdacht, sie wolle in einer Phase später Erleuchtung eine „alte Ungerechtigkeit” , die sie immerhin jahrzehntelang mitzuverantworten hätte, durch besagte „neue Gerechtigkeit” ablösen.

So bemüht die Mainzer Erklärung (CDU 2006) auch gleich eine Ablenkung durch Verwendung falscher Terminologie. Dort heißt es „Eine Gesellschaft, in der Chancen ungleich verteilt sind, verliert ihren inneren Zusammenhalt und damit die Kraft, gemeinsam große Ziele zu erreichen.” Richtig wäre, wobei es auch darum ginge, welche Chancen denn gemeint sind, die Aussage „Eine Gesellschaft, in der Chancen falsch verteilt sind, verliert ihren inneren Zusammenhalt und damit die Kraft, gemeinsam große Ziele zu erreichen.” Auch, wenn es den Autoren der Mainzer Erklärung missfallen mag, kann man hier nicht von einer in gewissen Rahmen messbaren Gleichheit ausgehen, sondern man muß als Politiker - wie sich zeigen wird, aktuell auch als CDU Politiker - für das den Kopf hinhalten, also Verantwortung für das tragen, was man für falsch und richtig hält und für das, was man darauf aufbauend an Entscheidungen getroffen hat.

Als Freudsche Fehlleistung mag man in diesem Zusammenhang das ebenfalls in der Mainzer Erklärung (CDU 2006) zu findende Ziel, „beim Thema Bildung und Erziehung setze sich die CDU dafür ein, Kindern aus allen Schichten die gleichen Chancen zu ermöglichen” betrachten. Unabhängig davon, daß es fraglich ist, ob das gerecht ist (ist es gerecht, einer Schnecke die Chance zu geben, über eine Mauer zu springen?) und an anderer Stelle korrekt Chancengerechtigkeit verlangt wird (POFALLA 2006), bekennt sich die CDU so dazu, daß es in unserer Gesellschaft Schichten, also eine horizontale Struktur gibt, sie sie immerhin selber mitverursacht hat. Jedenfalls bietet es sich an, wenn schon auf andere politische Kräfte Bezug genommen wird diese nicht auf der falschen Seite zu überholen und deutliche Unterschiede deutliche Unterschiede bleiben zu lassen, die sich in Sachen Gleichheit nicht zuletzt in der Überschrift eines Unterkapitels des Chemnitzer Programmes der PDS (2003) „Freiheit, Gleichheit, Solidarität” (vgl. hierzu auch [1]) fixieren lassen.

Letzendlich trägt so auch die CDU z. B. ein gerüttelt Maß an Verantwortung für diese Ausgangslage des Parts der Mainzer Erklärung (CDU 2006), „daß die CDU in einer Kommission ‚Bildungschancen und Erziehung‘ nach Wegen sucht” , um den Mißstand zu beenden, daß „die Herkunft eines Menschen erheblich über seine Bildungschancen und damit über seine späteren Aussichten am Arbeitsmarkt” entscheidet.” Dieser Erkenntnis stand und steht das aktuelle Grundsatzprogramm nicht entgegen [3].

Ob man den angesprochenen Status deshalb, weil z.T. hausgemacht, so unkritisch oder selbstkritisch dahingestellt sein lassen dürfte, ist fraglich. Vielmehr muß die Frage erlaubt sein, ob die Chancengerechtigkeit als solche keine größere Chance auf Umsetzung hätte und das Phantom Chancengleichheit seinen Abschied nehmen müßte, wenn die Schichten zugunsten des Anerkenntnisses individueller statt kollektiver (schichtenweiser) Ungleichheiten bekämpft würden.

Und gerade der Ansatz, auch Element der Mainzer Erklärung (CDU 2006), „neue Wähler- schichten” reicht - und dies wenig christdemokratisch, mag der Begriff „Wählerschichten” auch abgedroschen erscheinen - noch weiter. Er formuliert eine sozialistisch horizontale Sortierung der Wähler in Klassen, während es christdemokratische Politik sein muß, die Gleichwertigkeit der Menschen (nicht etwa deren Gleichheit) dem Grunde nach durch Ansprache aller Wähler auf gleicher Augenhöhe umzusetzen, was eine Einordnung in Schichten ausschließt und Klassen und Schichten nur z.B. als statistisch mathematische oder geologische Termini zuließe.

7 Vergleich mit der SPD

7.1 Inhalte

Kritik am Begriff der „Neuen Gerechtigkeit” kann die SPD kaum vornehmen, hat doch der Fraktionsvorsitzende des SPD Fraktion im bayerischen Landtag, Franz Maget, ausgeführt, daß ein solidarisches Sicherungssystem dann tragfähig bleibe, wenn alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Gemeinwohl beitrugen und hier „kann sich eine ‚Neue Gerechtigkeit‘ entwickeln, die sich an einem Geben und Nehmen und einer sozialverantwortlichen Partnerschaft zwischen Staat und Bürger orientiert” (MAGET 2006).

Für andere ist der Begriff eine „Leerformel” , die unterlegt werden müsse (STRUCK 2006), was bei der SPD wie von Maget unterlegt dann wiederum zur „sozialen Gerechtigkeit” führt. Nur ist es unfair von der SPD, sich selber zuzutrauen, einen Begriff zu unterlegen, anderen (der CDU) aber nicht. Daß er sich nach der Unterlegung dann anders, nicht aber etwa zutreffend nennt, zeigt schon fast eine unumgängliche Notwendigkeit auch für die CDU, sich vom Begriff der „Neuen Gerechtigkeit” - wenn auch mit einem gescheiteren Attribut als „sozial”, abzuwenden.

Weiter heißt es bei der SPD „Gerechtigkeit ist neben Freiheit und Solidarität der zentrale Wert, an dem sich unser Handeln orientieren muß. Ich stehe für einen neuen, modernen, funktionalen Gerechtigkeitsbegriff, der dem Einzelnen mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung zuordnet” (MAGET 2006). Das erinnert an die Aussagen der „Mainzer Erklärung” (CDU 2006).

7.2 Strategie

Es muß grundsätzlich gegenüber politischen Konkurrenten agiert, nicht reagiert werden.

Keinesfalls darf eine Grundsatzprogrammgenese auf programmatische Wahlaussagen eines politischen Gegners in einer Weise reagieren, als seien diese Aussagen ein verbindlicher Maßstab für Grundsatzformulierungen.

So ist es unzulässig, den Unterschied von „neuer” und „sozialer” Gerechtigkeit (mit der die SPD Wahlkämpfe gewann) dahingehend zu beantworten, der Begriff „soziale Gerechtigkeit” sei ist eine Verengung; er reduziere das Gerechtigkeitselement auf soziale Bezüge, wenn dies den Rückschluß hervorriefe, die CDU habe diese Verengung selber auch betrieben. Selbst die ungewollte Selbstkasteiung „Aber die Ungerechtigkeit haben wir nicht reduziert” (POFALLA 2006), wobei mit „wir” wohl die Gesamtheit deutscher regierungsverantwortlicher Politiker gemeint war, führt nicht als Konsequenz zu einer neuen Gerechtigkeit, sondern nur zu der Erkenntnis, daß man eben zuvor am Ideal des „C” gemessen weniger gerecht gewesen sein mag, im „worst case” sogar ungerecht. Wenn Pofalla, der die Aufgabe hat, „ganz praktische Vorschläge für die Lösung anstehender Probleme zu erarbeiten und diese in ein neues Grundsatzprogramm einzubetten” , (vgl. LEVINE 2006) sagt, „Wir wollen eine ‚Neue Gerechtigkeit‘, die sich nicht reduziert auf soziale Gerechtigkeit” (vgl. dto.), dann gibt er möglicherweise ungewollt einer sinnvollen Alternative, nämlich unreduzierter umfassender Gerechtigkeit, schon eine gute Vorlage, die im Gegensatz zur „neuen Gerechtigkeit” nicht zum politischen Eigentor führen würde.

Diese Erkenntnis und damit auch die Gerechtigkeit als programmatisches Ziel ist vor dem Hintergrund des „C” nicht neu. Neu ist möglicherweise der Wille zur politischen Umsetzung der besagten Erkenntnis. Soweit viele CDU-Mitglieder das „C” im beschriebenen Kontext noch nicht verstanden haben sollten, braucht die CDU keine „neue Gerechtigkeit” als politisches Ziel nach außen, auch keine neue Selbstgerechtigkeit, sondern ein verstärktes ethisches „C-Bewußtsein” nach innen.

Man dürfte allerdings geneigt sein, etwas aufzugreifen, was sich einst in der SPD, als sie sich gewissermaßen noch vor gar nicht langer Zeit als „New Labour” zu präsentieren gedachte, vergebens breitzumachen versuchte. Reformerin der SPD versuchten, der Freiheit einen besonderen Stellenwert zu geben - der Fähigkeit eines jeden zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Übernahme von Verantwortung. Wichtig war nicht die „Freiheit von etwas” , sondern die „Freiheit zu etwas” (vgl. NOLTE 2005). Das würde auch im Positiven klären, daß entgegen Heiner Geißler mehr Freiheit auch zu mehr Gerechtigkeit, wenn auch nicht zu einer neuen Gerechtigkeit, führen kann. Denn Freiheit zu etwas motiviert zu Neugier und zu daraus folgender Transparenz. Ohne einen „hellen Weg der Gerechtigkeit” (LUTHER KING 1963), weil eines ihrer wesentlichen Elemente ihre Wahrnehmung ist, wäre Gerechtigkeit kaum erkennbar wäre, die Folge wären gesellschaftliche Extreme zwischen Phlegma und Aufstand.

8 Ethik?

Nimmt man die Erklärung von SCHAVAN (2005) zur Kenntnis, zur Besinnung Deutschlands auf seine Stärken gehöre „auch die Einbeziehung der geisteswissenschaftlichen Expertise bei so zentralen Fragen wie dem Umgang mit menschlichen Stammzellen. Der Nationale Ethikrat habe hier wichtige Arbeiten für eine verantwortungsbewußte Güterabwägung geleistet” , dann ist allerdings, behält man die Relation der Mainzer Erklärung zur SPD im Auge, Klärungsbedarf gegeben. Auch wenn SPD-Politiker wie Rene Rössel (2002) sich gegen die Verwendung embryonaler Stammzellen aussprechen, gab es doch einen im wesentlichen unwidersprochenen Tenor in der SPD, der aktuelle rechtliche Status sei in Relation zum Forschungsentwickungsbedarf zu stringent. Das aktuelle Grundsatzprogramm der CDU legt sich auf den Schutz des menschlichen Lebens von Anfang an fest und nur so ist das auch mit dem „C” vereinbar [5].

Insoweit müssen sich jene, die sich in der CDU für Erleichterungen im Sinne z.B. von SCHRÖDER (2005) aussprechen, eine neue Partei suchen. Denn sie bräuchten dafür tatsächlich ein neues Grundsatzprogramm, das alleine auch dann in toto neu wäre, würde es auch nur einen schriftlich fundamentalen, nicht etwa fundamentalistischen, Aspekt aufgeben, und wären alle anderen Aspekte noch so konsequent formuliert. Eine Kette ist so stark, wie ihr schwächstes Glied. Die CDU kann sich aus Furcht um schwindende Wählergunst keine schwachen Glieder leisten und sie wäre dann bei aller Unvollkommenheit das starke „C” nicht mehr wert, sollte sie hier „umfallen” . Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zucht (vgl.2. Tim. 1, 7-10, in LUTHER 1545). Noch krasser käme es, würde man nicht von Furcht, sondern geradeheraus analog der Bedeutung des im Originaltext enthaltenen griechischen Wortes δειλίας von „Feigheit” sprechen.

9 Was zu tun ist

9.1 Von der Arbeit

Es stünde daher der CDU gut an, wenn sie sich in ihr aktuelles Grundsatzprogramm vertiefte, es besser verstünde und es dort verständlicher machte, wo davon auszugehen ist, daß es momentan unverständlich ist. Kognitive Bremsen in der „Bleiwüste” (MEYER 2001) müssen korrigiert werden, es müssen quasi zunächst einmal diese „Bremsklötze niedergewalzt” (MERKEL 2005) werden, eine zähe Angelegenheit fürwahr.

Es geht dabei um das Verstehen des Programms in toto, nicht artikelweise analog einer Unart, die Bibel verseweise so ins Gefecht zu führen, daß beim Zitierenden die Unbekanntheit des Umfeldes der jeweiligen Zitate vorauszusetzen ist oder er dieses Umfeld bewußt verschweigt, z.B. „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan, und herrschet über Fische im Meer und über Vögel unter dem Himmel und über alles Tier, das auf Erden kreucht” (vgl. 1 Mos. 1, in LUTHER 1545) mit Unterschlagung des antagonistischen Parts „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bauete und bewahrete” (dto. 2, 15).

Das Verstehen des Grundsatzprogrammes würde vereinfacht und damit zu einem stärkeren Instrument aktiver Politik, die es vorausschauend, nicht als Nachläufer zu politischen Gegnern (nicht nur zur SPD), aufzubauen gilt. Letzteres ist aber keine Sache des Grundsatzprogrammes, sondern, wenn man es dann schriftlich haben will, von Strategiepapieren und politisch fachlichen Leitfäden für die politische Tagesarbeit. Der mit der Mainzer Erklärung gestartete „Versuch, Felder zu besetzen, die bislang programmatisch eher von der SPD dominiert wurden” (HANDELSBLATT 2006), ist keine Grundsatzfrage, sondern eine Frage profaner politischer Praxis und hier wiederum deren in der Regel vernachlässigte Teil, daß man Politik dem Volke erklärt bzw. erklären muß. Handelte man und strukturierte man in der CDU programmatisch anders, haute man den Esel und meinte den Sack.

Hierbei kann nicht davon ausgegangen werden, daß derlei Schriften wie Strategiepapiere und politisch fachliche Leitfäden für die politische Tagesarbeit nicht umfassend herstellbar wären. Dem aktuellen Zustand, der vermuten lassen könnte, die erforderlichen Kapazitäten fehlten der CDU, liegt zugrunde, daß die CDU in vielen Gliederungen ihre Fachleute nicht ausreichend aktiviert. Diese Fachleute zu aktivieren ist aber eine der vornehmsten Aufgaben der Führungsebenen einer Mitgliederpartei.

9.2 Vom Erscheinungsbild der CDU, wörtlich genommen

Die CDU wird sich, um ein Gleichnis zu bemühen, überlegen müssen, ob sie sich wie auf einem Gemälde von Kandinsky oder auch in den Farbharmonien eines Garnier darstellt oder aber in grellen bunten Spotlights aus im Grunde isolierten Tönen, denen - dem Grunde nach egal, von wem - immer ein neuer hinzugefügt wird, wenn es der CDU zeitgeschichtlich opportun erscheint. Die Gefahr ist zudem groß, daß die Kräfte der CDU litten, abzuwehren, daß dieser Zuwachs gewissermaßen grafittimäßig zumindest mit steigendem Anteil von außen gesteuert würde.

In der Mainzer Erklärung (CDU 2006) heißt es auch „Das, was unserem Land schadet, lassen wir nicht zu.” Deutschland braucht eine starke CDU, Abstriche an der Orientierung der CDU am „C” im Zuge einer „neuen Gerechtigkeit” als deren zwingende Folge schadet auch Deutschland.

Dann ist es alle Anstrengungen von Christdemokraten wert, diesen Schaden tatsächlich nicht zuzulassen!

Tilman Kluge


Literatur:

CDU Bundesvorstand, Mainzer Erklärung v. 07.1.2006, Mainz 2006

CDU KV Main Taunus, Änderungsanträge zum Leitantrag des Bundesvorstandes (Parteitag Hamburg 1994), Hofheim Ts. 1993

CDU, Grundsatzprogramm 1994, Bundesparteitagsbeschuß, Hamburg 1994

BECHER, A., Alles Bildung oder was?, heute ZDF 26.3.2006, Mainz 2006

GEHM, K.H., Interview der Woche (mit Hans Peter Struck), Deutschlandfunk 22.1.2006, Köln 2006

HANDELSBLATT, Ende der CDU-Klausurtagung - CDU hofft auf sozialeres Profil nach Klausurtagung, 7.1 .2006, Düsseldorf 2006

KLUGE, T., Bergpredigt und Politik, Kiev 2000

KLUGE, T. CDU GP ALTERNATIV (EN7WURF), Bad Soden Ts. 2001

LEVINE, T., „Die Sozialdemokraten schauen mir zu sehr in den Rückspiegel” , Welt am Sonntag 29.1.2006, Berlin 2006

LUTHER, M., Von der Freiheit eines Christenmenschen, Wittenberg 1520

LUTHER, M. [Übers.], Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, Eisenach 1545

LUTHER KING, M., Rede in Washington (1 have an dream), Washington 1963

MAGET, F., Franz Maget - Standpunkte - Was ist an Bayern besonders?, www.spd-landtag.de, München 2006

MERKEL, A., (Bundesvors. CDU), Rede auf Parteiversammlung in Kiel, lt. Tagesschau 12.6.2005, Kiel 2005

MEYER, L., bezeichnete auf des Uz.‘s Anfrage hin das CDU-Grundsatzprogramm als eine ziemliche Bleiwüste, CDU Zukunftskonferenz „Morgen.DE! Deutschland weiter denken.” , Kongress- und Eventcenter Tempelhof Airport Berlin, Berlin 2001

NETZEITUNG 20.2.2006, Ex-Generalsekretär kritisiert CDU-Motto, Berlin 2006

NOLTE, P., Neue Freiheit, neue Gerechtigkeit (Kommentar), taz 04.8.2005 S.11, Berlin 2005

PDS, Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus, Chemnitzer Programm, Beschluss der 2. Tagung des 8. Parteitages der PDS am 25./26. Oktober 2003, Chemnitz 2003

POFALLA, R., in Was bedeutet die neue Gerechtigkeit der Union, Herr Pofalla?, Interview WELT am SONNTAG 08.1.2006, Berlin 2006a

POSCHARDT, U., Alter Wein in neuen Flaschen - Alle Parteien wollen modern sein. Warum?, DIE WELT 03.11.2002, Berlin 2002

RÖSPEL, R., Protokoll Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 214. Sitzung. Berlin, 30. Januar 2002 5. 21228 ff., Berlin 2002

SCHAVAN, A, Pressemitteilung 260/2005., 01.12.2005, Schavan: „Wir werden die neue Gerechtigkeit schaffen” - Sechs Milliarden Euro mehr - vorrangig für Zukunftstechnologien.., Berlin 2005

SCHRÖDER, G. (Bundeskanzler Deutschland 1998-2005), Rede an der Univ. Göttingen bei Entgegennahme der Ehrendoktorwürde, in Schröder für mehr Freiheit in der Stammzellenforschung, Neue Zürcher Zeitung 14.6.2005, Zürich 2005

SIDDHARTHA, G. („Buddha” ), The Sermon of Rajagaha, Rajagaha 480 v. Chr.

STRUCK, P., in GEHM 2006

ZIZEK, 5., Revenge of Global Finance, In These Times 21 .5.2005, Mt. Morris IL 2005

 

ENDE


 korr

Rechtschr.       06.03.2006 10:45

korr. Inh.       06.03.2006 13:45

erg. Anhang 1    11.03.2006 15:30

erg. 1 Lit.      11.03.2006 15:35

korr. Rechtschr. 06.04.2006 10:45

erg. Teil 4.1    09.04.2006 18:00


ANHANG 1

 

Hinweis: Dieser Anhang wurde erst am 11.3.2006 eingeführt. Der Verf. hatte die „Athener Erklärung” zuvor nur in Kenntnis des Tenors des GP 1994 verfasst. Angegeben ist ein repräsentativer - sparsam kommentierter - Auszug aus dem GP 1994.

Grundsatzreferenzen (CDU GP 1994)

 

[1] Die Grundwerte unserer Politik - Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit

12 (1) Selbstverpflichtung der CDU

1 Unser Gemeinwesen lebt von geistigen Grundlagen, die nicht selbstverständlich und für alle Zeiten gesichert sind.

2 Es ist die besondere Selbstverpflichtung der CDU, die christlich geprägten Wertgrundlagen unserer freiheitlichen Demokratie zu bewahren und zu stärken.

3 Dies unterscheidet uns Christliche Demokraten wesentlich von sozialistischem, nationalistischem und liberalistischem Denken.

 

[2] der „Dreiklang” ist im GP 1994 gegeben, es ist eine völlig andere Sache, ob er in der Praxis besteht, also ob das GP genug Anwendung findet. Was Freiheit betrifft, ist Freiheit im GP 1994 „ohne Wenn und Aber” (vgl. Kap. 15.1) fixiert. An keiner Stelle verfolgt die CDU im GP 1994 das Ziel, Freiheit in einer Weise einzuschränken oder das Recht auf Freiheit mit Pflichten zu verbinden, die es notwendig machen würde, diese Einschränkung oder diese Pflichten aufzuheben.

 

Verantwortung vor Gott

8) 1 Aus der Würde des Menschen erwächst das Recht eines jeden auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

2 Die Freiheit gibt dem Menschen die Möglichkeit zur sittlichen Entscheidung.

3 Jeder Mensch trägt dafür die Verantwortung vor seinem Gewissen und nach christlichem Verständnis vor Gott.

 

Freiheit

38.1.2) 1 Für eine Gesellschaft der Freiheit.

2 Jeder einzelne, ob Frau oder Mann, ob jung oder alt, soll in unserer Gesellschaft möglichst viele Chancen der Entfaltung nutzen können.

3 Wir wollen die Freiheitsrechte und die Verantwortungsbereitschaft des einzelnen für sich und die Gemeinschaft stärken.

4 Wir wollen gemeinsam die Freiheit sichern, die nach Deutschland und Europa zurückgekehrt ist.

5 Wir wollen, daß der Staat sich auf seine wesentlichen Aufgaben besinnt, um die Freiheit und Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, und wenden uns gegen ein Übermaß an Bürokratisierung und Reglementierung.

6 Wir wollen Leistungsfähigkeit stärken, Initiative und Risikobereitschaft fördern und die Grundlagen für den sozialen Ausgleich sichern.

 

Freiheit in Verantwortung

14) 1 Der Mensch entfaltet sich in der Gemeinschaft.

2 Freiheit verwirklicht sich durch Selbstverantwortung und Mitverantwortung.

3 Jeder Bürger soll im geeinten Deutschland Freiheit in Familie, Nachbarschaft, Arbeitswelt und Freizeit sowie in Gemeinde und Staat erfahren und verwirklichen können.

4 Die Verwirklichung der Freiheit des einzelnen ist ohne die Übernahme von Verantwortung für sich und die Gemeinschaft ethisch nicht möglich.

5 Wir wenden uns gegen einen falsch verstandenen Individualismus auf Kosten anderer.

6 Wir wollen den Sinn für Verantwortung und Gemeinwohl, für Pflichten und Bürgertugenden stärken.

 

Recht sichert Freiheit

15.1) 1 Recht, das die personale Würde des Menschen schützt, sichert Freiheit.

2 Es regelt das geordnete und friedliche Zusammenleben der Menschen in Freiheit.

15.2) 1 Die Verwirklichung der Freiheit bedarf der sozialen Gerechtigkeit.

2 Die Verhältnisse, unter denen der Mensch lebt, dürfen der Freiheit nicht im Wege stehen.

3 Aufgabe der Politik ist es daher, der Not zu wehren, unzumutbare Abhängigkeiten zu beseitigen und die materiellen Bedingungen der Freiheit zu sichern.

4 Persönliches Eigentum erweitert den Freiheitsraum des einzelnen für seine persönliche Lebensgestaltung.

 

Wehrhafte Demokratie

20.1) 1 Zur Freiheit gehört die Bereitschaft, sie nach außen und innen zu schützen und für sie zu kämpfen.

2 Wir bekennen uns zum Prinzip der wehrhaften Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

3 Wer frei ist, hat die Pflicht, für die Freiheit derer einzutreten, denen Freiheit vorenthalten wird.

4 Wir wollen Freiheit für alle, nicht nur für wenige.

5 Sie darf nicht auf wenige Völker oder gesellschaftliche Gruppen beschränkt sein.

6 Wir wollen dazu beitragen, unzumutbare Abhängigkeiten und Not zu beseitigen sowie weltweit für Recht, soziale Gerechtigkeit und Demokratie eintreten.

 

[3] Das GP 1994 fordert genau das, was Frau Schavan als neu propagiert. Es täte dem GP keinen Abbruch, das Wort „Soziale” im Titel von Kap. 26 zu eliminieren, da sich dieses Kapitel genausogut aus dem Selbstverständnis des „C” herleiten ließe.

 

Soziale Gerechtigkeit

26) 1 Gerechtigkeit schließt die Übernahme von Pflichten entsprechend der Leistungsfähigkeit des einzelnen zum Wohle des Ganzen ein.

2 Soziale Gerechtigkeit verlangt, vor allem denjenigen Menschen zu helfen, die nur unzureichend zur Selbsthilfe fähig sind und allein ihre Belange nicht wirkungsvoll vertreten und durchsetzen können.

3 Wir fühlen uns den Schwachen und sozial Benachteiligten besonders verpflichtet.

4 Für uns gilt, niemanden fallen zu lassen und jedem in unserer Gesellschaft menschenwürdige Lebensverhältnisse zu sichern.

 

Chancengerechtigkeit

27) 1 Gerechtigkeit fordert die Anerkennung der persönlichen Leistung und Anstrengung ebenso wie den sozialen Ausgleich.

2 Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

3 Chancengerechtigkeit ist die notwendige Ergänzung der Gleichheit vor dem Recht.

4 Sie soll jedem die Möglichkeit geben, sich in gleicher Freiheit so zu entfalten, wie es seiner persönlichen Eigenart entspricht.

5 Wir setzen uns dafür ein, daß jeder Mensch seine Lebenschancen frei und verantwortlich wahrnehmen kann.

6 Deshalb treten wir für eine Politik ausgleichender Gerechtigkeit ein.

7 Chancengerechtigkeit wächst auf dem Boden möglichst gerecht verteilter Lebenschancen; dazu gehört ein offener Zugang zu den Bildungseinrichtungen unter Ausgleich nachteiliger Vorbedingungen ebenso wie die

Möglichkeit der Mitsprache und der Mitverantwortung, die Nutzung lebenswichtiger Güter und der Erwerb persönlichen Eigentums.

 

Gleiches Recht für alle

30) 1 Jede Bürgerin und jeder Bürger in Deutschland soll Recht finden, soll Chancen wahrnehmen und durch Leistung verbessern können, soll Eigentum und Bildung erwerben und mit der eigenen Kraft zur ausgleichenden Gerechtigkeit beitragen.

2 Im geeinten Deutschland ist es unsere besondere Aufgabe, uns um Gerechtigkeit für die Bürger zu bemühen, denen sie über Jahrzehnte vorenthalten wurde.

3 Auch wo Gerechtigkeit nicht mehr erreichbar ist, muß Hilfe für die Opfer und Förderung der einst Benachteiligten im Zentrum stehen.

4 Unter Unrechtsbedingungen erworbene Besitzansprüche bedürfen einer Überprüfung.

5 Der feste Wille zur Gerechtigkeit muß die innere Einheit unseres Landes bestimmen und ihre Gestaltung leiten.

 

Leistung und Chancengerechtigkeit

55) 1 Vielfalt und Leistungsfähigkeit, Wettbewerb und Förderung müssen wesentliche Elemente unseres Bildungs- und Ausbildungssystems sein.

2 Grundlagen unserer Bildungspolitik sind das Prinzip der Chancengerechtigkeit und das humane

Leistungsprinzip:

2aa Chancengerechtigkeit erfordert, die Verschiedenheit der Menschen in ihren Begabungen, Leistungen und ihrem sozialen Herkommen zu berücksichtigen.

2ab Sie kann nicht durch Nivellierung oder durch die Einschränkung der Chancen anderer erreicht werden, sondern nur durch die Förderung der Anlagen jedes einzelnen.

2ba Das Leistungsprinzip verlangt, daß die Leistungsmöglichkeiten des einzelnen gefordert und gefördert werden und daß alle für ihre Leistung die gebührende Anerkennung erhalten.

2bb Leistung ist das sozial gerechteste Aufstiegs- und Differenzierungskriterium in einer demokratischen Gesellschaft.

3 Die gemeinsame Erziehung und Bildung von Mädchen und Jungen bildet die Grundlage für ein partnerschaftliches Miteinander; sie darf jedoch nicht die spezifischen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen außer acht lassen.

 

[4] Was wollen wir noch mehr, als dieses Ziel noch konsequenter zu verfolgen? Das ist aber nicht Sache des GP oder einer „neuen Gerechtigkeit” , sondern einer Umsetzung des GP durch die CDU.

28) Streben nach Gerechtigkeit

1 Absolute Gerechtigkeit ist nicht erreichbar.

2 Auch politisches Handeln stößt wegen der Unzulänglichkeit des Menschen an Grenzen.

3 Aber wir setzen uns mit äußerster Anstrengung für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und eine gerechtere Welt ein.

 

[5] Unser Verständnis vom Menschen

Würde des Menschen

7) 1 Wir bekennen uns zur Würde des Menschen.

2 Würde und Leben des Menschen - auch des ungeborenen - sind unantastbar.

3 Wir achten jeden Menschen als einmalige und unverfügbare Person in allen Lebensphasen.

4 Die Würde aller ist gleich - unabhängig von Geschlecht, Rasse, Nationalität, Alter, Behinderung, von religiöser und politischer Überzeugung, von Gesundheit und Leistungskraft, von Erfolg oder Mißerfolg und vom Urteil anderer.